Von Markus W. Voigt, CEO der aream Group
Im ersten Halbjahr wurde mehr als die Hälfte des deutschen Strombedarfs aus Erneuerbaren Energiequellen gedeckt. Ein Rekord. Und was geschah? Nichts! Die Netze blieben stabil, die Lampen an, der Strom kam aus der Steckdose. Es zeigt sich, dass die geäußerten Befürchtungen mancher Marktteilnehmer vor unkalkulierbaren Stromlasten durch Ökostrom eher unhaltbare Unterstellungen sind.
Die Angst muss groß sein vor dem weiteren Erstarken der Ökostrom-Produktion. Warum sonst sollten selbst eigentlich ernst zu nehmende Marktbeobachter immer wieder vor den Folgen der Einspeisung des grünen Stroms in die Netze warnen? Die Antwort ist einfach: Weil Ökostrom die über Jahrzehnte gewachsenen Gesetze der Branche durcheinanderwirbelt. Es handelt sich also um den Versuch, eine möglichst lange Zeit noch den lieb gewonnenen Status aufrechtzuerhalten – und noch eine Weile damit Geld zu verdienen. Zeit und Geld, die auch von den bisherigen Platzhirschen für den Umbau ihrer Produktion auf Grün verwendet werden könnten. Insofern: Herzlich willkommen in der realen Welt, aus der Energie aus Erneuerbaren Quellen nicht mehr wegzudenken ist.
Abseits einer auf Markt und Marktanteile zielenden Konfrontation aber gibt es natürlich eine echte Diskussion über die Frage, was Erneuerbare Energien mit den Netzen machen und wie sie stabil gehalten werden. Dazu zwei Punkte: Das erste Halbjahr hat gezeigt, dass die Netze auch bei hohen Ökostrom-Anteilen stabil bleiben. Ja, das lag zum einen am pandemiebedingten Nachfrage-Rückgang. Das Angebot aber war sogar höher, sowohl Wind wie Sonne liegen für die ersten sechs Monate 2020 deutlich über dem Plan-Soll. Nach den Thesen der Netzapokalyptiker hätten die Leitungen also allesamt zusammenbrechen müssen.
Es zeigt sich aber, dass für die Netze insgesamt die Lastverteilung einfacher geworden ist. Je mehr dezentrale Anlagen produzieren, desto weniger fallen etwa regionale Spitzen ins Gewicht. Hier greift der Portfolioeffekt, der für eine Streuung der Lastspitzen sorgt. Denn die Auslastung der Anlagen ist quer durch Deutschland sehr unterschiedlich: Neben Sonne und Wind traten Biogasanlagen und Speicherlösungen gewinnen immer mehr an Bedeutung. All dies sorgt dafür, dass die Netze insgesamt gleichmäßiger ausgelastet sind – und eben nicht zum Kollaps getrieben werden, wenn der Wind im Norden stärker weht oder die Sonne im Süden häufiger scheint.
Dazu kommt, dass die Netze immer intelligenter werden. So wie Künstliche Intelligenz mehr und mehr Einzug hält in die Betreuung der Solaranlagen und Windparks, so lässt sie sich auch für die Netzsicherheit einsetzen. KI kann sehr schnell reagieren, sehr schnell eine Entscheidung treffen und alles Notwendige im Zweifel selbstständig veranlassen. So können auch kleine Spitzen abgefangen werden, die sich gar nicht mehr zu größeren Problemen aufschaukeln.
Streuung der Last durch Portfoliobildung und Künstliche Intelligenz sorgen also dafür, dass die Netze stabiler werden. Und haben die erste Bewährungsprobe und den Ökostromrekord bereits mit Bravour bestanden.
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